
Gemeinschaftliche Körperverletzung durch Unterlassen verlangt eine Absprache
Eine Entscheidung des Landgerichts Verden hat der Bundesgerichtshof (BGH) zum Anlass genommen, um die Grenzen der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen zu diskutierten und klarzustellen.
Nach den landgerichtlichen Feststellungen wurde eine 19-jährige Frau, die psychisch schwer erkrankt war, von einem Angeklagten zur Prostitution erworben. Obwohl sie niemals ihre Zustimmung zur Erbringung sexueller Dienstleistungen gab, wurde sie auf einer Internetplattform angeboten. Zwei Mitangeklagte unterstützten das Vorhaben. Schließlich verstarb die Frau unter unklaren Umständen, wobei entweder Würgen oder die Einnahme einer zu großen Menge Salz die Todesursache sein konnte.
Die Anforderungen bei einer gemeinsamen Körperverletzung durch Unterlassen
Der Hauptangeklagte wurde wegen mehrerer Straftaten, einschließlich schwerer Zwangsprostitution und gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die beiden Mitangeklagten wurden ebenfalls wegen verschiedener Straftaten verurteilt, darunter auch gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen.
Ein zentraler Aspekt dieser Entscheidung war die Frage, wie gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu bewerten ist. Nach der Gesetzesauslegung kann eine gefährliche Körperverletzung nicht nur durch aktives Handeln, sondern auch durch Unterlassen begangen werden. Diese Auslegung des Gesetzes zielt darauf ab, dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit größeren Vorrang einzuräumen.
Der BGH führt nun aus, dass nur das passive Verhalten mehrerer Beteiligter an einem Ort nicht ausreicht, um den Tatbestand zu erfüllen. Es muss eine ausdrückliche oder konkludente Absprache zum Nichtstun geben, und mindestens zwei Garanten müssen zumindest zeitweilig am Tatort anwesend sein. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass die Angeklagten ausdrücklich vereinbarten, keine ärztliche Hilfe zu holen und sich selbst um den Zustand der Geschädigten zu kümmern. Dies hatte bestimmenden Einfluss auf das Tatgeschehen und damit konnte ein Fall der gefährlichen Körperverletzung durch Unterlassen vorliegen.
Eine klare Absprache ist beim gemeinschaftlichen Unterlassen notwendig
Diese Entscheidung verdeutlicht die rechtlichen Grenzen und Bedingungen für die gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen. Es zeigt, dass ein aktives Handeln nicht notwendig ist, um eine Straftat zu begehen. Aber gleichzeitig wird betont, dass reines passives Verhalten oder bloße Anwesenheit ohne eine klare Absprache oder Vereinbarung nicht ausreicht, um die Voraussetzungen des Tatbestandes zu erfüllen. Ein solcher Fall erfordert vielmehr eine sorgfältige Bewertung aller Umstände und Beweise.
BGH Urteil vom 17.05.2023 – 6 StR 275/22
„Gemeinschaftliches Unterlassen erfordert mehr als nur passive Anwesenheit; eine aktive Entscheidung zum Nicht-Eingreifen ist ausschlaggebend.“
RECHTSANWALT UND FACHANWALT FÜR STRAFRECHT DR. MATHIAS SCHULT